STREET POETRY
Wie Worte, Bilder und Fantasie das Trullo-Viertel in Rom verwandelten.
Begibt man sich auf den nicht unbeachtlichen Weg vom Zentrum Roms in einen seiner weiter außerhalb liegenden Randbezirke „Trullo”, ein Vorort im Südwesten Roms zwischen Magliana und Portuense, wird man vielleicht überrascht sein, dass dieses Viertel noch immer den Eindruck macht, eine eigene kleine Stadt zu sein. Auf der Hauptstraße sitzen ältere Menschen auf den Bänken, junge Leute treffen sich an der Bar, man grüßt sich, man kennt sich und es scheint ein Gefühl der Solidarität und Nähe zu bestehen, welches selten in großen Stadtzentren zu finden.
Das Viertel wurde um 1917 in einer ländlichen Gegend geboren und während des faschistischen Regimes wurden dort mehr als 300 Wohneinheiten gebaut, welche für die Bürger des Monti-Distrikts bestimmt waren, die für den Bau der Via dei Fori Imperiali vertrieben wurden, und für die italienischen Siedler, die aus Nordafrika zurückkehrten. Heute ist es gut mit dem Rest der Stadt verbunden, aber immer noch durch ein Naturschutzgebiet von Roms Innenstadt getrennt, das für landwirtschaftliche Zwecke genutzt wird. Aufgrund dessen hat sich das Viertel nach städtischen und sozialen Regeln entwickelt, die denen des Landes ähnlicher sind als denen, die für die Randgebiete einer Großstadt typisch wären.
Dennoch war und teilweise ist der Trullo auch ein Ort vieler sozialen Probleme, Arbeitslosigkeit und Kriminalität. Noch immer geprägt von den Gebäuden im Stil der 50er Jahre, erscheint das Viertel aufgrund mangelnder kommunaler Instandhaltung teilweise verwahrlost und trist. Eine Initiative, angetrieben und getragen von der lokalen Gemeinschaft, hatte es sich zum Ziel gesetzt, dem entgegenzuwirken und ihr Viertel künstlerisch aufzuwerten: Mittels Street Art und Street Poetry. Wandbilder und Verse gemeinsam, eine starke Geschichte erzählend, die ihre Inspiration aus dem täglichen Leben des Viertels schöpft.
Mit dem Ziel der Stadtaufwertung, Verbindungen zu und zwischen den Menschen herzustellen und gemeinsam ein Museum unter freiem Himmel zu schaffen, fand im Oktober 2015, nach Mailand (2013) und Genua (2014), die dritte Ausgabe des International Street Poetry Festival im römischen Stadtteil Trullo statt.
Organisiert von den Poeti der Trullo, Poesie Pop Corn, Solo, den Pittori Anonimi del Trullo und mit Unterstützung der Gemeinde, wurden einige der wichtigsten Street Poeten aus ganz Italien eingeladen, die zusammen mit Street Artists aus der römischen und nicht-römischen Szene eine Reihe urbaner Kunstwerke an verschiedenen Stellen des Trullo realisierten. Unter dem Festivalthema “i Viandanti” (die Wanderer), welches sich an alle Menschen richten sollte, die an eine positive Alternative glauben, wurden Häuserwände, Mauern und Fensterläden mit Poesie und Kunst neu gestaltetet. Es war das erste Mal in Italien, dass Street Poetry bei einer Veranstaltung dieser Größe auf Street Art trifft.
Was die Pinsel der lokalen Pittori Anonimi del Trullo (der anonymen Maler des Trullo) antrieb, war der Wunsch, die Straßen, in denen sie leben, zu verändern, um sie für alle schöner zu machen. Auch für diejenigen, die auf der Durchreise sind, und, um den Bewohnern eine Alternative zu dem Wunsch zu bieten, woandershin fliehen zu wollen.
Viele weitere Street Artists haben suggestive Kunstwerke geschaffen, die reich an Ausdrucks- und Erzählkraft sind und der ehemals heruntergekommenen Nachbarschaft ein neues Gesicht und eine neue Lebensfähigkeit verleihen. Zu ihnen zählen Bol23, Diamond, Gomez, GRNDR, Marco Tarascio/Moby Dick, Marcy, Mr. Klevra, Piger, Solo, Sugar Kane und viele weitere.
Die Arbeit der Street Artists vermischte sich mit der anderen Seele des Trullo, den Geschichten und dem Leben der Poeti der Trullo (Poeten des Trullo). Eine Gruppe junger Menschen, die, um sich selbst zu definieren, den Neologismus “MetroRomantizismus” schuf und diese poetische Bewegung in ihrem Manifest definiert. Eine Bewegung, die von unten, von der Nachbarschaft, von den Menschen, von der Einfachheit und Komplexität ihres Alltags ausgeht. Für sie ist Poesie eine Art, die Welt zu betrachten, nicht sie zu erzählen. Es ist vielmehr eine poetische Herangehensweise an das Leben, ein ständiger Dialog mit Menschen, Gefühlen, Ereignissen und Symbolen der Nachbarschaft und der Stadt, um ihre verborgenen Nuancen und ihre innere Botschaft zu erfassen. Tatsächlich finden sich in ihren teils sarkastischen, teils nostalgischen Worten voller Liebe und Wut keine echten Verse im klassischen Reim, sondern Kompositionen, bei denen die Poesie in die Bedeutung und Auswahl der Wörter eingebettet ist. Lebendige Poesie im Alltagsraum der Menschen. Schmückend aber auch entschleunigend, zum Stehenbleiben, Reflektieren und Nachdenken anregend. Den visuellen Horizont um einen Sinnesraum erweiternd.
Neben den Poeti der Trullo, nahmen auch die Street Poeten Poesie Pop Corn, Ivan,
Alfonso Pierro, Davide e Guido (Poesia Viva Lecce), Factory Writing, Francesca Pels, Gio Evan, M.E.P., Mister Caos, Poeta del Nulla, Poeti della Sera, Ste-Marta und Tempi DiVersi am Festival teil.
Trullo ist ein positives Beispiel für den gemeinschaftsbildenden und regenerierenden Effekt, den eine Symbiose aus Kunst und Poesie im öffentlichen Raum haben kann. Auch heute, 5 Jahre nach der Intervention, lohnt sich ein Besuch im Trullo. Zahlreiche Werke gibt es zu bestaunen, teils großflächig, teils versteckt, und nicht selten kommt es vor, dass Bewohner der Nachbarschaft spontan eine “Führung” durch ihr Viertel geben und spannende Anekdoten zu den Werken und ihren Geschichten mit interessierten Besuchern teilen.
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November 2020