SPIDERTAG
Interview mit dem spanischen Neon Street Artist SPIDERTAG:
Komposition ist der Schlüssel für Street Art und Murals. Man arbeitet mit dem Raum. Und dann benutze ich meine eigene Sprache, inspiriert von primitiven Zeichen und Basisgeometrie aus der prähistorischen Zeit, um diesen „futuristischen Primitivismus“ zu kreieren, der ein Joint Venture zwischen dem Neon und den antiken Arten von Zeichnungen und menschlichem Ausdruck darstellt.
Du bist seit 2008 unter dem Namen Spidertag auf den Straßen aktiv und reinterpretierst Geometrie, Abstraktion, Minimalismus und Symbolismus in urbanen und ländlichen Räumen weltweit. Du hast damit begonnen, Outdoor-Kompositionen mit Wolle und Garn zu kreieren, bist dann aber zu flexiblen Neonkabeln übergegangen und hast permanente, großflächige Wandbilder geschaffen, die du als „interaktive Neon-Wandbilder“ und die „Neonmetrie“-Ära definierst.
Ich war schon immer ein neugieriger Street Artist und habe versucht, mit verschiedenen Dingen zu experimentieren. Wolle und Geometrie waren die frühen Anfänge. Zu dieser Zeit habe ich auch Schwarzlicht und phosphoreszierende Farbe verwendet. 2011 fing ich an, QR-Codes auf der Straße zu verwenden – mit künstlerischer Absicht, nicht nur um eine Website zu bewerben – und ein paar Jahre später entschied ich mich, eine große Veränderung vorzunehmen, um voranzukommen.
Ich war auf der Suche nach neuen Materialien, um etwas Neues innerhalb der Street Art Bewegung zu schaffen. Es hat mich fast zwei harte Jahre gekostet, etwas zu finden, das zu der Vorstellung von Futurismus passt, die ich im Kopf hatte. Als ich dann das neue Neon entdeckte, wusste ich, dass es das war, wonach ich suchte. Also beschloss ich, dass meine Karriere im Jahr 2015 eine Wiedergeburt erleben würde.
Seit diesem Moment habe ich gelernt und meinen eigenen Stil weiterentwickelt. Interaktive Neon-Wandbilder (INM#) waren mein Weg, diese neue Sache, die ich tat, zu definieren. Und mit diesen drei Wörtern glaube ich, einen Weg gefunden zu haben, mein eigenes Konzept zu kreieren, das meine Absichten perfekt erklärt: großflächige Wandbilder aus Neon, die es dir als Betrachter erlauben, zu interagieren, indem du dein Telefon mit dem QR-Code benutzt und eine App herunterlädst, die es dir erlaubt, die Farben des Neons zu verändern und andere Funktionen zu nutzen.
Wie kann man sich die Entstehung eines interaktiven Neon-Murals vorstellen?
Komposition ist der Schlüssel für Street Art und Murals. Man arbeitet mit dem Raum.
Und dann benutze ich meine eigene Sprache, inspiriert von primitiven Zeichen und Basisgeometrie aus der prähistorischen Zeit, um diesen „futuristischen Primitivismus“ zu kreieren, der ein Joint Venture zwischen dem Neon und den antiken Arten von Zeichnungen und menschlichem Ausdruck darstellt.
Arbeitest du alleine?
Nein, normalerweise brauche ich mindestens einen Assistenten; man braucht in der Regel vier Hände zur gleichen Zeit. Je nach Projekt, dessen Größe, den Schwierigkeiten und der zur Verfügung stehenden Zeit für die Produktion, wähle ich das Team für den Auftrag aus.
Warum hast du Linien, Schnüre und Kabel als dein Ausdrucksmittel gewählt? Was fasziniert dich an elektrifizierter Geometrie und Abstraktion?
Neon hat mich schon immer fasziniert. Sie haben mich in ihren Bann gezogen und als ich einen Weg gefunden habe, großflächige Wandbilder mit einer neuen Technologie zu machen, die es mir auch erlaubt, zu interagieren, wusste ich, dass ich etwas Einzigartiges in der Hand hatte.
Welche Geschichten erzählen deine Werke? Welche Reaktionen willst du bei den Betrachtern hervorrufen?
Es gibt keine direkte Botschaft. Für mich ist es die Erfahrung. Es ist die Idee, in einer neuen Welt zu sein, in der man einen seltsamen Monolithen entdeckt, den man anfangs vielleicht nicht versteht, aber der einen fesselt und fasziniert.
Deine Einflüsse reichen vom russischen Konstruktivismus bis hin zur kinetischen Kunst, über elektronische und alternative Musik und Literatur, Kino, Videospiele, Graffiti und moderne Architektur. Woher nimmst du deine Anregungen? Gibt es andere (urbane) Künstler, die dich inspirieren?
Es gibt viele urbane Künstler, die mich wegen ihrer Kunstwerke und wegen ihrer Art zu sein, inspirieren. Ich bin früher (vor Covid-19) viel durch die Welt gereist und hatte die Gelegenheit, viele Street Artists, Graffitikünstler, Muralisten und Illustratoren zu treffen. So wie ich es liebe, von den Städten zu lernen, liebe ich es, von den Menschen zu lernen. Das ist ein immaterieller Gewinn, der für mich extrem interessant ist, genauso wie ein Buch oder ein Film. Ich versuche von all den Erfahrungen zu lernen, die ich gesammelt habe; viele von ihnen verändern auch meine Sichtweise oder sogar meine Arbeitsweise, aber es ist ein eher unsichtbarer Prozess, weil Abstraktion, Symbolik und Geometrie menschlich kälter erscheinen, aber das sind sie nicht immer.
Was bedeutet Urban Art für dich? Verstößt deine Idee nicht gegen ein Prinzip der Street Art, Kunstwerke im öffentlichen Raum tagsüber für alle sichtbar zu machen?
Heutzutage ist Street Art alles. Der Weg für Street Art zu überleben ist, flexibel zu bleiben und alle Techniken und neuen Ideen aufzunehmen, nicht alt und konservativ zu werden. Und die Nacht ist auch der Beginn für illegale Aktionen, eine Möglichkeit, in der Dunkelheit unentdeckt zu agieren. Ich mag es, mich auf dieser feinen Linie zu bewegen, Grenzen auszutesten; manchmal schafft das Verwirrung bei Leuten mit einem dogmatischen Geist, aber das ist mir ziemlich egal…
Was waren deine herausforderndsten und erfüllendsten Arbeiten bislang?
Meine INM# sind sehr physisch. Das Schwierigste in Bezug auf den Arbeitsaufwand war es, eine Decke in Portugal zu gestalten. Tagelang gegen die Schwerkraft zu arbeiten ist sehr hart. Tausende von Löchern zu bohren (40 Meter mal 12 Meter) war super anstrengend.
Das INM#1 in Portugal ist auch einer meiner Favoriten, ebenso wie das INM#4 in Montreal, Kanada, und das INM#6 in Finnland bisher. Das war der Moment, in dem ich das Gefühl hatte, dass ich meine Energie und Vision an den Rand der Innovation erhebe.
Irgendwelche Projekte geplant, oder Pläne und Träume für die Zukunft?
Im Moment beginnt die Zukunft wieder in meinen Träumen zu erscheinen. Seit Beginn der Pandemie Anfang des Jahres 2020, hatte ich eine Menge schlechter persönlicher und beruflicher Momente. Wirklich harte Zeiten. Kunst und Kultur sind im Allgemeinen etwas, dem die Welt nicht viel Aufmerksamkeit schenkt, und in jeder Krise werden sie sofort gekürzt.
In meinem Fall hatte ich mehr als 24 Projekte, die für 2020 anstanden, als ich am 25. Dezember 2019 in Bangkok war. Die Zukunft sah großartig und verrückt aus und wurde undurchsichtig und ein kompletter Albtraum.
Vor einem Monat habe ich mich in Timisoara, Rumänien, impfen lassen, viel früher als ich eine Impfung in Spanien bekommen hätte, und für mich war das ein Symbol dafür, dass sich die Zeiten zum Guten wenden können. Ich hatte viele mentale Probleme und persönliche, wirklich traurige Momente, und es ist schwer zu überleben und unter diesen wirklich schlechten Umständen positiv und kreativ zu denken. Ich versuche mir vorzustellen, dass die Kraft und die guten Vibes meiner Neons die Dunkelheit dieser Zeiten durchbrechen können, in denen wir als Gesellschaft immer noch leben. Ich wünsche mir, aus all dem zu lernen und diese Erfahrung für eine strahlende Zukunft zu nutzen, in der Wissenschaft, Kunst, Gleichberechtigung und Klimaverantwortung die Grundlagen der neuen Welt sind. Dafür werden wir hart kämpfen müssen. Immer wieder und für immer.
SPIDERTAG
Madrid, Spanien
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Bilder © SPIDERTAG
Juli 2021
by Laura Vetter