NESPOON
Interview mit der polnischen Künstlerin NeSpoon:
Ich habe Spitze noch nie gemocht. Bevor ich anfing, mit ihr zu arbeiten, dachte ich, Spitze sei etwas Altmodisches, aus der verstaubten Wohnung einer Großmutter. Heute scheint es mir, dass in jeder Spitze ein universeller ästhetischer Code steckt, der tief in jeder Kultur verankert ist.
Bombarral, Portugal I 2017
Wie kam es zu dem Namen NeSpoon?
Er kommt von „There is no spoon“, dem Satz aus dem Film The Matrix. Kurz gesagt, bedeutet es, dass die Grenzen nur in deinem Kopf sind. Wenn du das erkennst, kannst du von einem Wolkenkratzer zum anderen springen.
Übrigens, NeSpoon ist mein richtiger Name, legal, kein Pseudonym. Ich weiß nicht, wer Elżbieta Dymna ist.
Calais, France I 2020
Valencia, Spain I 2017
Kristiansand, Norway I 2018
Hast du eine formale Kunstausbildung? Wie und warum hast du in der urbanen Kunstszene angefangen?
Ich male schon, solange ich denken kann, seit dem Kindergarten. Im Alter von sechs Jahren wollte ich eine „richtige Künstlerin“ sein, als andere Mädchen davon träumten, Prinzessinnen oder Feen zu sein. Allerdings habe ich erst 2009 angefangen, Kunst auf der Straße zu machen.
Davor habe ich dunkle, traurige Ölbilder gemalt. Irgendwann fand ich, dass das eine Sackgasse war. Ich hatte eine zweijährige Pause, und dann begann ich, mich mit Keramik zu beschäftigen. Keramische Objekte mit Spitzenmotiven waren auch die ersten Arbeiten, die ich auf der Straße platzierte. In den folgenden Jahren kamen Graffiti, Murals und Installationen hinzu.
Du bist bekannt für deine großen Spitzen-Wandbilder, die Häuser auf der ganzen Welt bedecken, aber du arbeitest auch mit Farbe, Skulpturen und Töpferwaren. Urbane Kunst aus Keramik ist das Herzstück deiner Aktivität, und über die Jahre hast du mehrere hundert Keramikobjekte auf den Straßen verschiedener Städte rund um den Globus hinterlassen. Welche Techniken verwendest du? Was verbindet deine verschiedenen künstlerischen Bereiche?
Ich langweile mich leicht und wechsle oft die Techniken. Ich lerne immer etwas Neues; in letzter Zeit ist es der Siebdruck. Für illegale Graffiti benutze ich Stencils. Für Wandmalereien benutze ich sowohl Stencils als auch freie Handmalerei, je nach Projekt. In einer Galerie kann es Videokunst oder Skulptur sein – warum nicht?
Mein Grundmedium ist jedoch die Keramik. Ton und Farbe sind sehr natürliche Substanzen, nahe am Element Erde. Ich mag es, körperlichen Kontakt mit ihnen zu haben, mir die Hände schmutzig zu machen.
Corsica, France I 2020
Mumbaj, India I 2012
KohRong, Cambodja I 2020
Belorado, Spain I 2019
Fundão, Portugal I 2014
Favara, Sicily, Italy I 2019
Warum Spitze?
Ich habe Spitze noch nie gemocht. Bevor ich anfing, mit ihr zu arbeiten, dachte ich, Spitze sei etwas Altmodisches, aus der verstaubten Wohnung einer Großmutter. Heute scheint es mir, dass in jeder Spitze ein universeller ästhetischer Code steckt, der tief in jeder Kultur verankert ist. Wenn ich meinen Keramiken Farben hinzufüge, sagen die Leute, dass ich von tibetischen Mandalas inspiriert bin, oder von marokkanischer Keramik, oder sogar von einheimischer präkolumbianischer Kunst. Spitzenmuster enthalten einen sehr grundlegenden Code der Schönheit, der für die meisten Menschen auf der Erde gilt. Ich denke, das liegt daran, dass diese Motive aus der Natur kommen. Sie sind überall um uns herum präsent, in Blütenkelchen, in Schneeflocken, im Reif auf dem Fenster, in den Skeletten von Meeresbewohnern. Sie sind älter als die Menschheit.
Callac, France | 2021
Le Locle, Switzerland | 2019
Sisak, Croatia I 2019
Grottaglie, Italy | 2011
Sisak, Croatia | 2019
Fundao, Portugal | 2014
Was sind deine Inspirationsquellen?
Meine Kunst entsteht immer in situ, in einem lokalen Kontext. Ich verwende immer lokale Spitzenmuster, wenn sie existieren. Ich schaue mir lokale Museen an. Ich respektiere und gedenke der emotionalen Bindung zwischen einzelnen Mustern und bestimmten Städten oder sogar bestimmten Gruppen von Klöpplerinnen. Wenn es in der Gegend, in der ich arbeite, keine Tradition des Klöppelns gibt, frage ich in den Häusern älterer Menschen, die in der Nähe wohnen, nach Spitzenstoffen. Ich finde immer etwas. Mein letztes Wandbild, das ich diesen Monat in Griechenland gemacht habe, basiert auf einem Klöppelmuster, das von der Mutter des Besitzers des Hauses, das ich bemalt habe, gemacht wurde.
Art Walk Festival | Patras, Greece | 2021
Welche Reaktionen willst du beim Betrachter hervorrufen?
Einmal malte ich ein großes, illegales Werk unter einer Überführung, in der Nähe einer Kirche. Plötzlich tauchten die Cops auf. Natürlich hatte ich keine Erlaubnis, also ließen sie mich nicht zu Ende malen und fingen an, einen Strafzettel zu schreiben. In diesem Moment endete die Messe in der Kirche und ein Dutzend älterer Frauen kam heraus. Als sie herüberkamen und sahen, was ich malte, schrien sie die Polizisten an, mich in Ruhe zu lassen. Nach zwanzig Minuten Streit gewannen sie, die Polizisten gingen und ich konnte fertig malen. Das ist die Art von Reaktion, die ich gerne hervorrufen würde.
Also denkst du, dass durch die Einbeziehung alter Traditionen und Handwerke in deine Kunst, diese für mehr Menschen zugänglich ist, besonders für die ältere Generation?
Ganz genau. Aber ich glaube auch, dass meine Werke positive Energie ausstrahlen, was auch immer das bedeutet. Die Leute mögen sie einfach; viele Menschen lächeln, wenn sie sie sehen.
Warsaw, Poland | 2012
Warsaw, Poland | 2013
Dein Ziel ist es, „positive Kunst zu schaffen und mit positiven Emotionen zu arbeiten“, aber du nutzt deine Werke auch, um auf soziale und politische Themen aufmerksam zu machen, die dir wichtig sind. Mit welchen Themen beschäftigen sich deine Werke? Wie schaffst du es, „schwere“ Themen in deiner zarten Kunst zu vermitteln?
Ich spreche in meinen Arbeiten Probleme wie die drohende Wasserkrise, die Abholzung der Wälder, Nachkriegstraumata, religiöse Radikalisierung oder Fake News an, aber diese Projekte sind in der Wahrnehmung nicht so einfach wie filigrane Street Art, daher sind sie nicht so populär. Meine Herangehensweise an schwierige Themen ist wie ein Sprichwort: „Anstatt das Böse zu bekämpfen, ist es besser, das Gute zu verbreiten.“
Kann Street Art Probleme innerhalb eines Landes beeinflussen? Denkst du, dass Street Art die Gesellschaft beeinflussen kann?
Ich komme aus Polen, einem Land, in dem in den 1980er Jahren massenhaft gemalte Graffitis und politische Street Art (ja, die gab es damals) Werkzeuge waren, die das PR-Image des kommunistischen Regimes buchstäblich zerstörten.
Natürlich hat Street Art die Macht, die Gesellschaft zu beeinflussen.
Wie würdest du das Klima und den Vibe der urbanen Kunstszene in Warschau und allgemein in Polen beschreiben?
Die Street Art Szene ist nicht groß, und wir kennen uns alle untereinander. Wenn es jemand Neues gibt, versuchen wir ihn kennenzulernen, etwas zusammen zu machen. Es ist ein bisschen wie eine Familie. Ich mag es wirklich, Teil dieses Haufens zu sein.
Propaganda Gallery for NYX Hotel
Warsaw, Poland | 2020
Warsaw, Poland | 2016
Warsaw, Poland | 2019
Was steht als nächstes für dich an? Hast du irgendwelche Pläne oder Träume für die Zukunft?
Mein Ziel ist es, groß angelegte Multimedia-Installationen im öffentlichen Raum zu machen. Die erste wird in Berlin sein, vor dem Reichstag. Bei der Ausstellung im Jahr 2042 werde ich mein Projekt „Thoughts“ zeigen, das 2012 begann. Jedes Jahr stelle ich für mehrere Monate kleine blütenförmige Formen aus Porzellan her. Ich bin in der Lage, etwa 50kg dieser Keramikblütenblätter pro Jahr zu produzieren. Heute sind es 400kg und im Jahr 2042 werden 1.500kg zu sehen sein.
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Bilder © NeSpoon
Juli 2021
by Laura Vetter