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MAD

Interview mit dem iranischen Street Artist MAD:

Ich denke, dass Kunst die Form von Protest annehmen kann, indem sie politische und soziale Themen mit direkten Aktionen adressiert. Kunst kann dich mit deinen Sinnen, deinem Körper und deinem Geist verbinden. Sie kann dazu führen, dass Menschen miteinander sympathisieren und in Kontakt treten, und hoffentlich kann sie eine Veränderung in ihrem Denken und Handeln bewirken.

Du wurdest 1987 in Tabriz, Iran, geboren und bist seit 2008 auf der Straße aktiv, im Iran und im internationalen Raum. Wie bist du zur Kunst gekommen und warum hast du die Straße als Ort für dein künstlerisches Schaffen gewählt?

Ich wurde in Tabriz geboren, der Stadt, in der ich Icy und Sot kennengelernt habe, die Brüder und Freunde sind. Wir wurden sehr enge Freunde und verbrachten viel Zeit zusammen auf dem Skateboard oder beim Parkour-Sport. Wir waren täglich auf den Straßen von Tabriz unterwegs, wo die Jungs von Zeit zu Zeit kleine Stencils an die Wände malten. So fing ich auch an, kleine Stencils zu sprayen, und zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, dass ich mich besser ausdrücken und meine Gefühle zu bestimmten Themen mithilfe von Wänden und Street Art zeigen kann. Im Laufe der Zeit wurde das zu meinem Beruf, und ich habe dafür viele Opfer gebracht.

Wenn du kein Künstler wärst, was wärst du dann geworden?

Ich habe Informatik an der Universität studiert. Früher habe ich als Webentwickler gearbeitet, aber ich habe mich entschieden, Künstler zu werden. Das hat mir mehr Spaß gemacht und entsprach eher meiner Ideologie. Ich kann also sagen, wenn ich kein Künstler wäre, wäre ich ein Computeringenieur.

Du hast deinen Stil im Laufe der Zeit verändert, bist aber immer der Stencil-Technik treu geblieben. Kannst du uns mehr über deine künstlerische Entwicklung erzählen und was deinen neuen Arbeitsstil beeinflusst hat?

Ich denke, Veränderungen gehören zum Fortschritt vieler Künstler. Der Stil des Denkens und Malens kann sich im Laufe der Zeit ändern. Es gibt viele Gründe, seine Denkweise zu ändern, und unterschiedliche Themen wie Umwelt, Kultur, Sprache usw. zu behandeln. Als ich im Iran lebte und arbeitete, habe ich mich hauptsächlich mit sozialen und politischen Themen beschäftigt. Später, als ich in die Türkei zog, begann ich, mich mit anderen Themen auseinanderzusetzen und meine Bilder auf ein höheres künstlerisches Niveau zu bringen. Ich füge jetzt mehr Details, mehr Farben und mehr Schichten zu meinen Werken hinzu, und die Geschichten, von denen sie handeln, sind komplexer geworden. Ich versuche, fiktive und fantasievolle Welten zu erschaffen, indem ich verschiedene Elemente und Charaktere mische, die manchmal auf mythologischen und religiösen Geschichten basieren und mit meiner eigenen Vision vermischt werden. Eine Welt, in der alles passieren kann und in der es keine Grenzen gibt. Aber ich bin Stencils immer treu geblieben. Ich mag diese Technik und wie schnell sie ist.

REAL JOB I Tabriz, Iran I 2015

THE LAST ANGLEL I Istanbul, Turkey I 2019

Deine Werke enthalten kritische soziale und kulturelle Kommentare mit einer Prise Humor und Metaphorik und drehen sich um Themen wie Zensur, Menschlichkeit und soziale Probleme. Glaubst du, dass Kunst die Gesellschaft oder sogar die Politik verändern kann? 

Die Gesellschaft oder die Politik zu verändern, ist vielleicht etwas zu hoch gegriffen. Aber ich denke, dass Kunst die Form von Protest annehmen kann, indem sie politische und soziale Themen mit direkten Aktionen adressiert. Kunst kann dich mit deinen Sinnen, deinem Körper und deinem Geist verbinden. Sie kann dazu führen, dass Menschen miteinander sympathisieren und in Kontakt treten, und hoffentlich kann sie eine Veränderung in ihrem Denken und Handeln bewirken.

LOVE QUOTE I Istanbul, Turkey I 2018

SHEPHERNAUT I Istanbul, Turkey I 2018

Was sind deine Inspirationsquellen? Gibt es andere (urbane) Künstler, die dich inspirieren?

Die Gesellschaft, in der wir leben, und all die Dinge, mit denen wir in unserem täglichen Leben konfrontiert werden, sowie die Technisierung des Alltags haben mich neben fiktionalen, mythologischen und religiösen Geschichten in meinen Werken sehr inspiriert. Normalerweise beobachte und verfolge ich viele Künstler. Ich genieße es, den Entwicklungsprozess meiner Lieblingskünstler zu beobachten. Es gibt viele Künstler, die mich sehr inspiriert haben, seit ich mit der Malerei begonnen habe, wie Moebius, Frank Frazetta, Banksy, Dolk, Pobel, Pejac, Aec Interesni Kazki und viele mehr. Ich bewundere ihre Kunstwerke sehr.

PRETENCE I Tehran, Iran I 2012

RUNAWAY STAG I Istanbul, Turkey I 2020

Du bist im Iran aufgewachsen, aber seit fast fünf Jahren lebst und arbeitest du in Istanbul, in der Türkei. In Anbetracht der Tatsache, dass Street Art und Graffiti in vielen Ländern immer noch als Verbrechen eingestuft werden, wie würdest du das künstlerische Klima und die Freiheit, und die urbane Kunstszene im Allgemeinen, in diesen beiden Ländern beschreiben?  

Ich möchte die Antwort auf diese Frage mit einer Erinnerung beginnen. Als ich zum ersten Mal nach Istanbul kam, wurde ich eingeladen, ein Wandbild in der Boğaziçi-Universität in Istanbul zu malen. Es war meine erste Reise in die Türkei und ich spürte, dass es dort die gleichen Probleme gab wie im Iran, wie z.B. das Fehlen der Redefreiheit und vieles mehr. Ich spürte, dass der gleiche Druck auf den Menschen hier in Istanbul lastete. Also beschloss ich, eines meiner Werke mit dem Titel „Rise against the system“ zu malen. Ein Rebell in einem Glasgefäß will einen Stein auf das Glas werfen, das das System symbolisiert, das die Menschen kontrolliert. Es zeigt, wie zerbrechlich das System sein kann, wenn wir seine Schwächen verstehen. Aber natürlich musste die Universität das Werk nach einer Woche wieder entfernen, weil es Probleme mit der Regierung gab.

Ich kann sagen, dass sowohl der Iran als auch die Türkei ihre eigenen Reize haben. Aber im Iran als Street Artist zu arbeiten, ist sehr gefährlich. Soweit ich weiß, gibt es im Iran kein besonderes Gesetz gegen Graffiti oder Straßenmalerei. Du kannst also für alles angeklagt werden, auch für politische Straftaten, selbst wenn deine Arbeit nichts mit politischen Themen zu tun hat. In der Türkei hingegen ist es völlig in Ordnung, wenn du unpolitische Dinge malst. Im Vergleich zu Teheran ist das Malen in Istanbul einfacher, aber natürlich ist das auch von Viertel zu Viertel unterschiedlich.

KNOCKOUT I Istanbul, Turkey I 2017

ORACLE I Istanbul, Turkey I 2019

Wurdest du jemals bei illegalen Arbeiten erwischt?

Ja, ich wurde im Iran mehrere Male erwischt. Aber ich hatte das Glück, dass mir nichts Ernstes passiert ist. Ich wurde nur von der Polizei verwarnt. Hier in Istanbul wurde ich noch nicht erwischt, aber auch hier beim Malen schon mehrmals von der Polizei verwarnt.

TIME SOURCE I Izmir, Turkey I 2022

QUARANTINE I Izmir, Turkey I 2022

Was macht künstlerische Freiheit für dich aus?

Als iranischer Staatsbürger ist es schwer, um die Welt zu reisen. Das freie Reisen könnte mich sehr beeinflussen, denn ich liebe es zu reisen und mehr über die Kultur der Länder, ihre alten mythologischen Geschichten, ihre Literatur, ihre Geschichte und viele andere Dinge zu erfahren, die mir bei meinem künstlerischen Schaffen helfen können.

UFO CRASH I Bali, Indonesia I 2017

RICE I Bali, Indonesia I 2017

Was war bislang dein herausforderndstes und erfüllendstes Werk oder Projekt?

Wie ich schon sagte, haben meine neuen Bilder viele Details und Farben und damit Schichten. Das Malen und Ausschneiden der Schablonen von Hand erfordert also viel Zeit und Mühe. Ich kann sagen, dass sie eine echte Herausforderung für mich sind. 

Als mein Wandbild „Rise against the system“, ein Werk, das ich wirklich mochte, entfernt wurde, schien es mir, als hätte es seine Aufgabe erfüllt und die Botschaft gesendet, die es senden sollte. Als sie es übermalten, waren die Studenten der Universität wirklich sauer und begannen gegen die Zensur zu protestieren. Das hat mir gefallen, und ich glaube, das war mein bisher erfüllendstes Projekt.

RISE AGAINST THE SYSTEM I Istanbul, Turkey I 2015

Was steht bei dir als Nächstes an? 

Ich arbeite an einer Sammlung von Bildern und habe vor, bald eine Einzelausstellung in den USA oder Europa zu machen, wohin ich dieses Jahr gerne reisen würde, wenn es möglich ist. Außerdem plane ich, an einem Künstler-Residenz-Programm teilzunehmen und meine Werke auf den Straßen in der ganzen Welt zu verbreiten.

UNTITLED I Izmir, Turkey I 2022

THE PASSAGE I Izmir, Turkey I 2022

MAD

Tabriz, Iran / Istanbul, Türkei

Website madstencils.com

Instagram mad_stencils 

Facebook Madstencils  

Vimeo madstencils

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Bilder © MAD

 

Februar 2022

Laura Vetter