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KERA

Interview mit dem Berliner Künstler KERA:

Was mich antreibt, sind die Projekte draußen. Mit den Händen was zu erschaffen und körperlich aktiv zu sein. Der Austausch und die Einflüsse verschiedener Städte, Länder und auch Kulturen. Verschiedene Menschen und ihre Lebensweise kennenzulernen. All diese Energien und Farbwelten lasse ich in meine Arbeiten einfließen.

Betrachtet man deine Werke, lassen Stil und Bildsprache bereits auf deinen künstlerischen Background schließen: Seit über 20 Jahren beschäftigst du dich mit Farben, Drucktechniken und Fassadenmalerei und vereinst in deinen Werken abstrakte Strukturen und grafische Formen in ausbalancierten Kompositionen, die ein Spiegelbild deines Grafik-Design-Studiums sind, aufgrund ihrer oft horizontalen, dynamischen Formen dennoch an Graffiti und Stencil erinnern. Wie bist du zur (urbanen) Kunst gekommen? War es der Weg von Graffiti zu Grafikdesign, oder die Entscheidung, Grafik nicht nur im Design, sondern auch im öffentlichen Raum auszuleben?

Meine Wurzeln kommen ganz klar aus dem Graffiti. Seit 1999 habe ich angefangen mich mit Farben, Sprühdosen und Buchstaben auseinander zu setzen. Die ersten 10 Jahre habe ich nichts anderes gemacht, als Buchstaben zu sprühen.

Mein Interesse und meine Leidenschaft für die abstrakt grafischen Formen kamen erst später durch den intensiven Kontakt zum Siebdruck und generell zum Thema Drucktechniken, mit dem ich mich jahrelang beschäftigt habe. Auch meine Ausbildung als Grafik-Designer war ein großer künstlerischer Entwicklungsanstoß für mich.

Formen und Linien mit dem Computer zu entwickeln und anschließend händisch auf die Wand zu übertragen reizt mich noch immer. Ich habe gelernt, dass ich meine Skizzen am Computer schnell verändern und formen kann, doch dass „an der Wand zu stehen“ und etwas mit meinen Händen zu schaffen der wichtigste und aufregendste Teil für mich ist.

Was fasziniert dich an Abstraktion? Woher rührt deine große Leidenschaft für geometrische Linien, räumliche und grafische Strukturen?

Mit Strukturen und der Haptik beschäftige ich mich unbewusst ja schon seit mehr als 20 Jahren. So viele verschiedene Untergründe, die ich schon bespielt habe, haben zu meiner Leidenschaft beigetragen. Auch nicht nur ein Kunstwerk zu sehen, sondern es zu fühlen öffnete eine neue Ebene für mich. Ich glaube viele kennen das Gefühl im Museum das Bild unbedingt anfassen zu wollen, man möchte es fühlen.

Beim figurativen Malen habe ich schnell gemerkt, dass mich das nicht reizt etwas ganz genau abzuzeichnen. Eine Vase bleibt eben immer eine Vase. Erst als ich angefangen haben die Vase blind zu zeichnen wurde es spannend für mich. Was für neue Elemente und Formen herauskamen fand ich faszinierend. Wie frei es auf einmal wurde.

Mein Ordnungssinn und mein Hintergrund als Grafikdesigner haben dann den Rest dazu gegeben. Nachdem ich gelangweilt von Buchstaben war, da es keine Entwicklung mehr gab, habe ich gemerkt das es Zeit für Neues war. Aber was? Also fing ich an mich mit der reinen Linie und Fläche auseinanderzusetzen. So kam ich Stück für Stück dahin wo ich jetzt stilistisch stehe.

Welche Geschichten erzählen deine Werke? 

Meine Werke sind rein abstrakt. Die Formen sind frei erfunden und lehnen nicht am Gegenständlichen an. Es ist ein Spiel mit Richtungen, Energien, Gefühlen und Harmonie. Auch die Mathematik wie Wiederholungen, gleiche und gebrochene Formen, bestimmen die Bildsprache. Die Wiederholung ist ein Thema was mich in der letzten Zeit sehr beschäftigt hat. Eine Wiederholung gibt Sicherheit und bringt Routine rein, kann aber auch stagnierend wirken, indem man immer auf derselben Stelle tritt. Dieser Gegensatz zog mich an und beschäftigt mich. Bei meinen Arbeiten gibt es bestimmte Formen, die sich wiederholen, aber da sie frei mit der Hand gezogen werden immer unterschiedlich sind. Es geht oft nicht um die einzelne Form, die zwar auch für sich allein stehen kann, sondern um die gesamte Komposition. Ein bisschen wie ein Komponist der ein Stück schreibt, indem er die einzelnen Noten präzise und genau überlegt zu einer Melodie aneinander setzt. Genaue Planung mit einem Hauch Zufall ist eine gute Rezeptur für meine Werke.

Das Spannende für mich ist auch, dass jeder Betrachter etwas anderes assoziiert und sich damit eigenständig mit dem Werk auseinandersetzt. Jeder erkennt eigene figürliche oder abstrakte Inhalte darin. Das ist großartig und lässt der Kreativität des Betrachters freien Lauf.

Du nutzt verschiedene Werkzeuge, um ein abstraktes grafisches Ergebnis zu erzielen und kombinierst Digitales mit Haptischem: die Arbeit am Computer mit der Arbeit an der Wand. Wie sehen deine Herangehensweise und dein Arbeitsprozess aus? Überwiegt Planung oder Spontanität?

Spontanität gibt es bei den Wandgestaltungen eher weniger. Da auch die Projekte größer werden, muss ich im Vorfeld gut vorbereitet sein. Meist schau ich mir vorher die Umgebung und den Ort an.

Ich versuche ein Gefühl zu bekommen, ob die zu bespielende Fläche eher „laut“ ist oder eher eine „ruhige“ Herangehensweise braucht. Ich schaue nach Farben, die in der Umgebung bewusst und unbewusst auftauchen und versuche diese harmonisch mit einzubauen. Auch prägnante Formen aus der Architektur verbaue ich in meinen Grafiken. Wobei ich nie genau dieselbe Fläche eins zu eins mit einbeziehe, sondern immer abgewandelt. Ich plane und kreiere das Werk dann vorher am Computer, das ist auch der kreative Part im Prozess. Ich entwickle Formen und Grafiken bis ich zufrieden mit dem Ergebnis bin. Meistens geht der Prozess der Gestaltung über mehrere Tage bis es ein Gefühl gibt, was mir sagt, dass es fertig ist. Die Umsetzung ist dann der Teil der mir am meisten Spaß macht, obwohl der kreative Prozess schon fast abgeschlossen ist. Es gibt natürlich schon Farben und Formen, die sich direkt an der Wand verändern, weil sie für mich besser hineinpassen. Es muss also nicht krampfhaft eins zu eins so umgesetzt werden wie in dem Entwurf.

Deine Outdoor-Arbeiten fügen sich in Form und Gestaltung fließend in ihre Umwelt ein, auch weil du dabei die Farbwelt der Umgebung und Architektur berücksichtigst und aufgreifst. Deine reduzierte Farbpalette ist quasi zu deinem Erkennungsmerkmal geworden. Wie gehst du an die Farbkomposition heran? Sind auch die Farbtöne im Vorfeld genauestens digital geplant?

Mit den Jahren habe ich mir ganz unbewusst diese Farbpalette aufgebaut, hinter der ich immer noch stehe. Ich versuche bei den Wandarbeiten oft die Farben aus der Umgebung mit einfließen zu lassen, um meine Arbeit harmonisch an die Architektur anzulehnen. Manchmal versuche ich auch genau das Gegenteil und benutze mit Absicht die Komplementär-Farben um die Wand lauter und aufregender wirken zu lassen. Aber das tue ich eher seltener.

Die Entscheidung die Farben zu reduzieren kommen auch aus dem Hoch- und Flachdruck, bei dem man für eine Farbe ein Sieb oder Tafel benötigt und es kompliziert zu händeln ist um so mehr Farben zum Einsatz kommen. Also versuche ich mit wenigen Farben alles auszudrücken, was ich empfinde.

Die Farbtöne werden bei der Wandgestaltung im Vorfeld genau mit Hilfe von Farbfächern ausgewählt und geplant. Ich habe keine festen Farbtöne, die ich immer verwende und bin dennoch immer wieder überrascht wie ähnlich sich die Farben bei den verschiedenen Projekten sind. Das ist dann wohl der unbewusste Instinkt bei der Farbauswahl. Aber, wenn die Farben an der Wand nicht so wirken wie gedacht mische ich den Farbton auch schon mal um.

Neben den Einflüssen aus Grafik und Druck – was sind deine Inspirationsquellen, was treibt dich an? Gibt es andere (urbane) Künstler, die dich inspirieren?

Was mich antreibt, sind die Projekte draußen. Mit den Händen was zu erschaffen und körperlich aktiv zu sein. Der Austausch und die Einflüsse verschiedener Städte, Länder und auch Kulturen. Verschiedene Menschen und ihre Lebensweise kennenzulernen. All diese Energien und Farbwelten lasse ich in meine Arbeiten einfließen. Künstler die mich sehr inspirieren sind unter anderem Carmen Herrera, Katharina Grosse, Frank Stella und viele mehr die über das Medium Malerei hinausgehen.

Gibt es (inhaltliche, gestalterische, methodische) Unterschiede zwischen den Werken auf Papier, Holz oder Leinwand, die du im Studio kreierst, und deinen Arbeiten im öffentlichen Raum?

Meine Arbeiten auf Holz oder Leinwand sind sozusagen die komprimierten Arbeiten von denen im öffentlichen Raum. Ich gehe genauso an die Leinwand heran wie bei der Fassade. Inhaltlich sind sie gleich aufgebaut.

In der letzten Zeit habe ich mehr auf Holztafeln gemalt, die zum einen zwar schwerer vom Gewicht aber auch robuster sind. Ich kann das Klebeband direkt auf der Holztafel schneiden und die Erhebungen von den Farbkanten kommen auf dem Holz besser hervor als auf der Leinwand. Somit entsteht auch eine Haptik die man sogar sehen kann. Bei den Studioarbeiten versuche ich mehr ins Objekthafte zu gehen. Das heißt, ich probiere viel mit verschiedenen Materialien herum, um das Werk als dynamisches, dreidimensionales hängendes Objekt zu gestalten. Z.b. habe ich einige Arbeiten auf handgebogenem Acrylglas gemalt. Von vorne sieht es flach aus aber bei näherem Herangehen bemerkt man, dass die Platte verzerrt und gebogen ist. Dabei kommen ganz neue Licht- und Schattenspiele auf das Werk, was eine neue Ebene öffnet. Das ist auch ein Einfluss aus der Architektur.

Bei einer zweiten Variante arbeite ich viel mit Monotypen, das heißt ich arbeite mit Abdrücken. Ich kann im Vorfeld die Form genau bestimmen aber wie der Abdruck aussehen wird, weiß ich vorher nicht genau. Ich spiele sozusagen mit dem Geplanten und dem Zufall wobei jeder Abdruck anders aussieht. Das sind für mich dann eher die etwas spontaneren Arbeiten, bei denen ich im Vorfeld nicht alles bestimmen kann. In den Arbeiten geht es auch mehr um die Strukturen und die Drucktechnik als um die cleane auskomponierte Form.

Du hast bereits weit mehr als 100 Wände weltweit gestaltet, ob im Rahmen von Festivals, privat initiiert oder als Auftragsarbeit, und sagst selbst “die zu produzierende Fläche kann nicht groß genug sein.” Ist es der erhöhte Schwierigkeitsgrad, der dich reizt, oder steigen mit der Größe auch künstlerische Freiheit und Spaßfaktor?

Der Satz „die zu produzierende Fläche kann nicht groß genug sein“ ist mit einem zwinkernden Auge gemeint aber auch mit viel Wahrheit verbunden. Klar, umso größer die zu bespielende Fläche ist umso größer ist das Projekt und es gibt mehr zu organisieren. Ich liebe es wie schon beschrieben an jedes Detail zu denken und zu planen. Die künstlerische Freiheit habe ich fast bei jedem Projekt. Klar passe ich mich mit der Farbwelt auch mal an Vorgaben an, aber wie die Formen und Grafiken aneinander gesetzt werden ist immer frei und nicht verhandelbar. Da habe ich meist ganz genaue Vorstellungen.

Der Spaßfaktor steigt schon mit der „Schwierigkeit“ der zu bespielenden Fläche, das kann man so sagen, da ich dann anfange die Grafik mit der Architektur auf einer Ebene verschmelzen zu lassen. Es geht weit über nur die Malerei hinaus was auch die Projekte so spannend für mich macht.

Auch das jedes Projekt anders ist. Klar kann ich auf Erfahrungen aufbauen aber ich bin immer wieder vor neue Aufgaben gestellt was mich sehr reizt. Das fordert mich nicht nur malerisch, sondern gibt mir neue Energie und Erfahrungen, die ich beim nächsten Projekt wieder mit einfließen lassen kann.

Was steht für dich an? Pläne, Projekte oder Träume für dieses Jahr (bzw. sobald Corona es erlaubt)?

Durch die Corona-Situation ist es natürlich schwieriger geworden Projekte zu planen, weil sich die Situation stets verändert und Projekte und Ausstellungen immer wieder verschoben werden. Daher war ich auch sehr froh über die Einladung zum STADT.WAND.KUNST Festival in Mannheim, das ich seit längerer Zeit verfolge und bei dem ich im April dabei sein durfte. Als nächstes geht es nach Georgien für eine Bodenmalerei eines Basketballplatzes, worauf ich schon sehr gespannt bin.

Für meine weitere Entwicklung würde ich mir wünschen mich mehr mit der Architektur zu verbinden und andere oder neue Untergründe zu bespielen. Das heißt, Wände zu gestalten die z.B. über die Wandmalerei hinausgehen und über mehrere Ebenen oder Materialien gehen. Neue unkonventionelle Flächen zu bespielen wie z.B. Böden, Decken, Treppen oder Stuck mit in die Malerei einfließen zu lassen. Vielleicht sogar skulpturale Formen mit einzubauen.

KERA I Christian Hinz

Berlin, Germany

Website kera1.de

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Vimeo kera.1

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Bilder © KERA

 

Mai 2021

by Laura Vetter