FORGOTTEN PROJECT
Interview mit Alessandra Arpino, Projektmanagerin und Kuratorin von Forgotten Project.
Die Unmittelbarkeit der urbanen Kunst ist heute mehr denn je ein zweischneidiges Schwert.
Forgotten Project wurde 2015 geboren, um die zeitgenössische Architektur Roms durch urbane Kunst aufzuwerten – insbesondere von Gebäuden, die in Vergessenheit geraten könnten, weil ihre Bewohner die soziale, kulturelle und städtische Zentralität nicht mehr erkennen. Kannst du uns mehr über das Projekt erzählen und die Idee, die dahintersteht?
Gegensätzlich des Anscheins wurde das Projekt ins Leben gerufen, um das Bewusstsein für das Thema Urbanität und nicht für Kunst zu schärfen. Die Gleichgültigkeit gegenüber der zeitgenössischen Architektur in einem Kontext wie Rom war der Funke, aus dem der Prozess hervorging. Andererseits war die Poetik des Künstlers Blu der andere Anstoß zur Kontextualisierung der Intervention in Bezug auf den Ort, an dem sie eingefügt wurde, sodass die Oberfläche, auf der die Intervention ausgeführt wird, und die Arbeit selbst im offenen Dialog stehen.
Was macht Urban Art deiner Meinung nach zu einem starken und effizienten Kommunikationsmittel? Wo siehst du die Möglichkeiten und Grenzen dieser Kunstform?
Die Unmittelbarkeit der urbanen Kunst ist heute mehr denn je ein zweischneidiges Schwert. Während es sich einerseits um ein wirksames Kommunikationsinstrument handelt, besteht andererseits die Gefahr, dass die Inhalte (die künstlerische Botschaft) zugunsten eines schnellen Verständnisses (seitens sozialer Netzwerke) auf ein Minimum reduziert werden. Das Interesse der letzten Jahre am Phänomen der urbanen Kunst muss meiner Meinung nach ein Anreiz sein, die Messlatte für Qualität und Inhalt der Werke höher zu legen.
Im Gegensatz zu vielen anderen Projekten, die darauf abzielen, die Außenbezirke der Stadt aufzuwerten, ist Forgotten ein experimentelles Projekt, das urbane Kunst ins Stadtzentrum bringt. Stellt euch dies vor andere Herausforderungen? Wenn man an eine historische Stadt wie Rom denkt, gibt es wahrscheinlich viele Vorschriften und Bürokratie zu beachten, wenn es um städtische Interventionen geht.
Absolut, ja. Forgotten Project kann als ”Slow Festival” betrachtet werden mit durchschnittlich fünf Interventionen pro Edition. Dies hat es uns nicht nur ermöglicht, jeder Intervention die nötige Aufmerksamkeit (einschließlich die der Medien) zu geben, sondern auch den komplizierten bürokratischen Apparat der Stadt besser zu verwalten, der in dem Teil des historischen Zentrums, der zum UNESCO-Weltkulturerbe gehört, noch schwieriger wurde. Eine der impliziten Provokationen des Projekts bestand darin, (super zeitgenössische!) Kunst in das konsolidierte künstlerische Gefüge zu bringen. Die Absicht war, innovativ zu sein und auf unsere kleine Art und Weise, würde ich sagen, dass dies ein erfolgreicher Aspekt des Projekts ist.
Wie geht ihr organisatorisch an ein neues Projekt bzw. eine neue Edition heran?
Recherche und Planung nehmen die meiste Zeit in Anspruch. Partnerschaften sind die Stärke des Projekts, weil wir an das Netzwerk sowohl der institutionellen als auch der territorialen Akteure glauben. Aus diesen Gründen werden, nachdem das Fokus-Land* einer Edition aufgrund der festgestellten Lücke im künstlerischen Angebot ausgewählt wurde, die Botschaften und Kulturinstitute einerseits und die kulturellen und sozialen Vereinigungen andererseits miteinbezogen.
*Forgotten Project wählt die Künstler aus, indem es jede Edition auf ein bestimmtes Land konzentriert, um in die Kunstszene dieses Landes einzutauchen und sie mit Italien zu vergleichen.
Wie wählt ihr die teilnehmenden Künstler aus? Sind sie frei in der Ausgestaltung ihrer Werke?
Die Künstler müssen noch nie in Rom gemalt haben und eine Technik oder Botschaft repräsentieren, die besonders innovativ ist oder noch nicht in der Stadt präsent ist. Jeder Künstler erhält ein Dossier zum Thema der Intervention und zum jeweiligen Gebäude – kann das Thema jedoch ignorieren oder entsprechend seiner eigenen Vorstellungen entwickeln.
Wie und in welchem Umfang ist die lokale Gemeinschaft in das Projekt oder den Entscheidungsprozess involviert?
Ich glaube fest an spezifische Fähigkeiten, weshalb ich nicht die Idee vertrete, dass öffentliche Kunst von der Gemeinschaft gestaltet werden sollte. Ich glaube an die Figur des Kurators als Kompetenzperson, die in der Lage ist, die verschiedenen Variablen zu bewerten, die die Wahl des Künstlers und die Art der Arbeit bestimmen. Es liegt jedoch auch in der Verantwortung des Kurators, die Auswirkungen der Arbeit in dem Kontext zu berücksichtigen, in den sie eingefügt wird!
Das gesamte Team von Forgotten arbeitet auf freiwilliger Basis. Wie finanziert ihr die Projekte?
Das Geschäftsmodell von Forgotten Project basiert auf Crowdfunding-Veranstaltungen und einer jährlichen Spendenaktion, die dank der Zusammenarbeit mit den Künstlern, die hierfür eine limitierte Serie von Serigrafien (Siebdrucke) erstellen ermöglicht wird. Der verbleibende Teil besteht aus unabhängigen Spenden und technischen Patenschaften.
Was waren die wichtigsten Erkenntnisse aus früheren Projekten wie der Zusammenarbeit mit den Künstlern Lucy McLauchlan oder My Dog Sighs?
Die Einladung ausländischer Künstler war schon immer eine Priorität des Projekts, sodass uns sogar schon einmal jemand Xenophilie vorgeworfen hat. Die Realität ist jedoch, dass wir nach einem technischen und kulturellen Vergleich mit Künstlern unterschiedlicher Herkunft suchten, die eine externe Perspektive bieten konnten, um sich technisch mit der römischen Kunstszene zu messen. Durch die Zusammenarbeit mit Miguel Januario, My Dog Sighs und Lucy McLauchlan, die wir auch in unsere Nebenveranstaltungen zum Engagement des Publikums einbezogen haben, konnten wir einen neuen Dialog zum Thema Stadt und Urbanität in Gang bringen.
Habt ihr Pläne für zukünftige Projekte?
Urban Art verändert sich sehr. Ziel ist es, die Anzahl der Interventionen auf ein Minimum zu reduzieren und Künstlern und Auftraggebern die geeigneten Werkzeuge, Ressourcen und Knowhow zur Verfügung zu stellen, damit wir weiterhin über KUNST und nicht nur über Dekoration sprechen können.
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Alessandra Arpino I Forgotten Project
Rome, Italy
© Stefano Corso and Zaira Biagini
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November 2020