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CARO PEPE

Interview mit der argentinischen Künstlerin Caro Pepe:

Ich präsentiere meinen Betrachtern meine innerste Wahrheit, fast wie ein Geständnis, wer ich bin und wie ich mich fühle. Damit will ich den Anstoß geben, zur Selbstreflexion anzuregen, das Gespräch mit sich selbst zu fördern und tief in die eigenen Gefühle und Gedanken einzutauchen.

Du bist eine argentinische Künstlerin und lebst seit zehn Jahren in Berlin. Nachdem du mehrere Jahre in Buenos Aires und Madrid als Art Director in der Werbebranche gearbeitet hast, hast du dich entschieden, dich ganz der Kunst zu widmen und seither in verschiedenen Städten in Europa und darüber hinaus gemalt und ausgestellt. Deine Kunst erforscht die innere Welt und die komplexe Natur der Emotionen und hebt die subtile Kraft der weiblichen Figuren hervor, die eine unterschwellige Symbolik tragen und oft in der Abwesenheit von Hintergründen und Zeit schweben, immer auf der Suche nach der Balance zwischen naiven und provokativen Motiven. Dabei arbeitest du auf Leinwänden, Papier und Objekten, in kleinen Dimensionen sowie auf großflächigen Wänden, sowohl im Innen- als auch im Außenbereich, und kombinierst verschiedene Techniken wie Sprühfarbe, Acryl und Wandemulsion. 
Hast du eine künstlerische Ausbildung, oder wie bist du zur Kunst im Allgemeinen und schließlich zur Kunst im öffentlichen Raum gekommen? 

Obwohl ich keine formale künstlerische Ausbildung habe, male ich, seit ich denken kann, und besuche Kunstkurse und Workshops, seit ich vier Jahre alt bin. Durch eine unerwartete Wendung der Ereignisse landete ich in Berlin und kam mit einer Gruppe von Leuten in Kontakt, die ein urbanes Kunstevent veranstalteten. Bis dahin hatte ich noch nie eine Wand bemalt und auf einmal musste ich eine im legendären Tacheles malen. Diese Tage werde ich nie vergessen. Es dauerte ewig, bis ich die Wand fertiggestellt hatte, und das Ergebnis war alles andere als gut, aber rückblickend war das die Initialzündung für alles, was danach kam.

Auf deiner Website steht: „Ihre Arbeit dreht sich um Intimität, es ist eine geflüsterte Wahrheit„. Welche Wahrheit willst du den Betrachtern vermitteln? Was ist dein Hauptinteresse: Anregung zur Selbstreflexion, emotionaler Austausch oder Umdenken?

Ich präsentiere meinen Betrachtern meine innerste Wahrheit, fast wie ein Geständnis, wer ich bin und wie ich mich fühle. Damit will ich den Anstoß geben, zur Selbstreflexion anzuregen, das Gespräch mit sich selbst zu fördern und tief in die eigenen Gefühle und Gedanken einzutauchen.

Was sind deine Inspirationsquellen? Gibt es andere Künstler, die dich inspirieren? 

Meine Hauptinspirationsquelle sind Emotionen, die normalerweise aus meinen eigenen Erfahrungen oder aus Geschichten, die ich höre oder lese, stammen. Mein Werk basiert darauf, wie ich die Realität um mich herum verarbeite. Es gibt viele Künstler, die mich inspirieren und deren Arbeit ich sehr bewundere, wie Eliza Ivanova, Helen Bur, Conor Harrington, Malakkai und Andrew Hem, um nur einige zu nennen.

Wenn man deine Werke betrachtet, fällt einem schnell auf, dass fast alle deine Figuren einäugig sind: ein Symbol für unsere menschliche, subjektive Herangehensweise und unseren unvollständigen Blick auf die Realität, aus dem heraus wir unsere Welt definieren. Bei welchen Themen würdest du dir wünschen, dass die Welt endlich beide Augen öffnet? 

Obwohl ich schon seit einigen Jahren einäugige Figuren male, füge ich aufgrund meiner persönlichen Entwicklung immer öfter das zweite Auge zu meinen Kreationen hinzu. Ich bin mir jetzt vieler Dinge bewusst, die ich vorher nicht kannte; deshalb fühlt es sich ehrlicher an, es auf diese Weise zu tun. 

Was deine Frage angeht, so gibt es mehrere Themen, für die ich mir wünschen würde, dass die Welt endlich beide Augen öffnet. Eines davon ist sicherlich die zunehmende Tendenz zu homogenem Denken. Ich glaube, das ist ein sehr gefährlicher Weg, auf den wir uns begeben. Dieser Glaube „Wenn du nicht für mich bist, bist du gegen mich“ lässt keinen Raum für Diskussionen oder Verständnis und hat meiner Meinung nach das Potenzial, zu einer sehr intoleranten Gesellschaft zu eskalieren. 

Ein weiteres Merkmal deiner Arbeit ist, dass du fast ausschließlich weibliche Figuren in einer leicht surrealen Umgebung malst, die oft ein starkes Gefühl der Melancholie in sich tragen. Als Frau kannst du dich am besten in sie hineinversetzen und eine emotionale Beziehung zu ihnen aufbauen. Gibt es noch andere Gründe, oder könnte man sogar einen feministischen Ansatz hineininterpretieren? 

Ich male weibliche Figuren, weil ich mich besser in all die Tiefen und Schichten des Frauseins hineinversetzen kann. Es gibt einen Kampf, den wir in uns tragen: die Vorgaben, den gesellschaftlichen und den selbst auferlegten Druck, die Rollen, die wir erfüllen sollen, und wie wir uns dabei fühlen. All diese Themen bilden ein endloses Universum, das ich immer wieder ansprechen möchte. Könnte man also einen feministischen Ansatz hineinlesen? Auf jeden Fall.

Du arbeitest unter deinem richtigen Namen Caro Pepe, aber die Leute kennen dich auch unter dem Spitznamen Geduldig. Wie du selbst sagst, passt dieses Wort von den Tausenden von Wörtern, mit denen du dich beschreiben könntest, am besten zu deinem Handeln. In welchen Bereichen hilft dir diese Eigenschaft am meisten? Gehst du auch an neue Projekte mit Planung und Geduld heran, oder ist deine Art, Kunst zu kreieren, eher spontaner Natur? 

Das Wort „Geduldig“ wurde mir eher geschenkt, als dass ich es selbst gewählt hätte, und ich habe es gerne angenommen. In einer Zeit, in der alle um mich herum ihre Fähigkeiten verbesserten, um „schneller“ zu malen, befand ich mich in einer eher introspektiven Phase, und jedes Mal, wenn ich mich einem Wandbild näherte, war es eher eine Meditationsübung. Ich wollte, dass sich meine Seele direkt mit dem verbindet, was ich gerade tue. Das machte mich natürlich viel langsamer als meine KollegInnen, und so wurde ich als „Geduldig“ bekannt. 

Auch wenn ich mein Malen etwas beschleunigt habe, habe ich meine Art zu malen beibehalten. Ich tauche so tief in meine Kunst ein, dass ich jedes Mal, wenn ich fertig bin, das Gefühl habe, ein Stück von mir zurückgelassen zu haben. 

Diese Eigenschaft hat mir sehr geholfen, die Momente des Zweifels und der Frustration zu überwinden, die mit dem Schaffensprozess einhergehen. Es hat mir geholfen, die Stimmen in meinem Kopf zum Schweigen zu bringen und weiterzumachen, denn ich habe gelernt, dass am Ende alles gut wird. 

Wenn es um die Vorbereitung von Projekten geht, plane ich sie heutzutage im Voraus. Ich skizziere zuerst, bereite meine Farben sorgfältig vor und mache dann (die Hälfte der Zeit) etwas ganz anderes.

Anders als die Kunst im Atelier richtet sich die Kunst im öffentlichen Raum direkt und ungefiltert an alle, die diesen Raum frequentieren. Was bedeutet das für dich als Künstlerin? Welchen Zweck muss urbane Kunst erfüllen, und welche Verantwortung siehst du für urbane Kunstschaffende?

Für mich fühlt sich das Malen im öffentlichen Raum wie eine große Verantwortung an. Dabei versuche ich, mein Bestes zu geben, denn ich bringe etwas in die Gemeinschaft ein. Ich habe immer im Hinterkopf, dass ich im Alltag der Menschen präsent bin, und ich möchte, dass meine Kunst einen positiven Einfluss hat. Der Zweck der urbanen Kunst ist meiner Meinung nach, Kunst zugänglich zu machen. Viele Jahre lang war Kunst nur etwas für die Eliten, und jetzt ist sie auf der Straße. Sie ist für alle da, gehört aber niemandem; sie ist ein gemeinsamer Wert. 

Was war dein bisher aufregendstes oder erfüllendstes Projekt? 

Ich habe mehrere aufregende Projekte gemacht, von denen es sehr schwer ist, eines herauszuheben.

Eine Hommage an 100 Jahre Frauenwahlrecht in Großbritannien zu malen, ist sicher eines meiner Lieblingsprojekte.

Am meisten stolz bin ich jedoch darauf, wie ich Hindernisse überwunden habe, als ich im Fieber ein sechsstöckiges Gebäude auf einem Gerüst bemalt habe und es aufgrund des Bauzeitplans in Rekordzeit fertigstellen musste. So oft wollte ich aufgeben, so oft dachte ich: „Das schaffe ich nie und nimmer“, aber ich habe jede einzelne Faser meines Körpers aufgebraucht und es geschafft. 

Jede Woche erhalte ich ein oder zwei Nachrichten von Leuten, die in der Gegend wohnen und mir sagen, wie glücklich sie mein Wandbild macht. Das ist für mich mehr als lohnend.

Woran arbeitest du zurzeit? Welche Pläne und Träume hast du für die Zukunft? 

Zurzeit konzentriere ich mich darauf, neue Techniken zu erforschen. Ich lasse mir Zeit, um zu experimentieren, ohne den Druck des Ergebnisses. Wenn man immer in Eile ist, bleibt dafür kein Raum, obwohl das die einzige Möglichkeit ist, seine Kunst voranzutreiben. Parallel dazu stürze ich mich in ein NFT-Projekt mit einer Plattform (Metawalls), die sich auf urbane Kunst spezialisiert hat und Co-NFTs einführt, also das kollektive Eigentum an einem Werk.

Im Großen und Ganzen plane ich, bis zu meinem Tod weiter zu malen. Ich träume davon, es auf der ganzen Welt zu tun. 

CARO PEPE

Berlin, Germany

Website caropepe.de

Instagram caro.pepe

Facebook caropepeakageduldig   

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Bilder © Caro Pepe

 

April 2022

by Laura Vetter